Projekttag Filmanalyse für Klasse 10

Von   31. März 2017

Interpretieren heißt, sich die Welt und sein Gegenüber erschließen, heißt Handlungen und Gefühle verstehen und sich über deren Bedeutung klarwerden. Damit ist Interpretation eine Kernkompetenz auf dem Weg in ein eigenverantwortliches Leben nach der Schule. Bei diesem Schlagwort denken die meisten an den Deutschunterricht und damit verbunden an Texte im klassischen Wortsinne. Dabei wird oft übersehen, dass Interpretation die Grundlage ist für jegliche Kommunikation: Indem wir genau hinhören, was unser Gegenüber sagt und dieses Gesagte auf die eine oder andere Weise verstehen, erschließen wir uns seine Bedeutung – und das tausendfach an jedem Tag.

Dieses genaue Hinhören – oder im Falle von Textgrundlagen das genaue Lesen – ist eine unverzichtbare Fähigkeit, deren Ausbildung zu einem großen Teil im Fach Deutsch gefördert wird, ebenso wie die Auseinandersetzung mit den verschiedenen Medien, die weit über den gedruckten Text hinaus auch Hörspiele, Bildergeschichten, non-lineare Texte wie Internetseiten und eben auch das Medium Film einschließt, welche sich selbstverständlich auch alle interpretieren lassen, wenn man über das nötige Handwerkszeug verfügt.

Eben dieses erarbeiteten sich die Schülerinnen und Schüler der Klasse 10 des Caspar-Mohr-Progymnasiums am vergangenen Mittwoch, dem 29. März 2017, als sie im Rahmen ihres Deutschunterrichtes einen Projekttag zum Thema Filmanalyse durchführten.

In den vergangenen Wochen hatten sich die Gymnasiasten intensiv mit Schillers „Kabale und Liebe“ auseinandergesetzt und dabei ihre Kenntnisse in den üblichen Techniken der Textinterpretation wiederholt und vertieft. Nun lernten sie, dass sich zwar vieles vom Text auf den Film übertragen lässt, das Medium Film aber eben auch seine eigenen Gestaltungsmöglichkeiten und Fachbegriffe hat:

Nach einer Einführung zu Grundlagenbegriffen, wie den verschiedenen Kameraperspektiven und -einstellungen oder dem Zusammenspiel von Ton, Bild und Schnitt, beschäftigte sich die Klasse mit der Frage, inwieweit sich ein literarisches Werk überhaupt in einen Film übersetzen lässt und welche Schwierigkeiten dabei auftreten, die oft dafür verantwortlich sind, dass diejenigen, die ein Buch zu schätzen gelernt haben, mit dessen Filmversion wenig zufrieden sind. Dazu gehören vor allem die meistens notwendigen Kürzungen, um einen komplexen Roman in ein bis zwei Stunden Film zu verwandeln, aber auch die Frage, wie mit der inneren Handlung, also den Gedanken und Gefühlen einer Figur, verfahren werden soll, da diese in der Textvorlage ausführlich geschildert werden kann, aber im Film nur durch Mimik und Gestik auszudrücken ist, wenn auf eine hörbare Stimme aus dem Off verzichtet werden soll.

Da es sich in diesem Falle bei der Vorlage um einen Dramentext handelte, waren viele dieser Probleme für eine Adaption hinfällig, denn das Drama ist bereits in der Länge für die Aufführung konzipiert und auch auf der Bühne findet Gedankenrede nur begrenzt statt. Dennoch warteten zahlreiche Veränderungen auf die Schüler, angefangen bei ausgetauschten Handlungsorten, über gestrichene, verschobene und hinzugefügte Szenen bis hin zur kompletten Neugestaltung einzelner Figuren.

Um den komplexen Prozess einer Filmanalyse beim ersten Versuch der Schüler auf ein zu bewältigendes Maß zu reduzieren, wurden die verschiedenen Aspekte auf Kleingruppen innerhalb der Klasse aufgeteilt. Dazu gehörten: Kameraführung und Schnitt, Raumgestaltung, Figurengestaltung, Musik & Geräusche, die Gestaltung der Handlung (auch im Vergleich zur Vorlage) und die Beschäftigung mit Symbolen, die im Film eingesetzt wurden. Kaum dass die Jugendlichen die Umsetzung von Schillers Text durch den Regisseur Leander Haussmann angesehen hatten, entstand eine rege Diskussion zu Gemeinsamkeiten und Unterschieden und die Irritation, die der Film durch seine Abweichung von der Vorlage bei einigen ausgelöst hatte. Hier zeigte sich bald, dass die Gymnasiasten ein Verständnis dafür entwickelten, wie die Änderungen die Gesamtwirkung und damit die Interpretation – von Film und Drama – beeinflussten. Während der folgenden Gruppenarbeit trugen die Schüler ihre Beobachtungen zusammen und bemühten sich gemeinsam um eine Deutung des Geschehenen. Schnell wurde klar, dass im Gegensatz zu Schiller, bei dem es kaum schwarz-weiß gezeichnete Figuren, dafür aber viele facettenreiche Charaktere gibt, im Film auf ein plakatives Gut gegen Böse gesetzt wurde, das bei den Schülern wenig ankam. Obwohl viele dem Film zu Gute hielten, dass er die Zeitumstände im 18. Jahrhundert durch Kostüme, Musik und Kulissen im wahrsten Sinne des Wortes anschaulich machte, gab die absolute Mehrheit der Klasse am Ende Schillers Drama den Vorzug, weil ihnen die ursprünglichen Charaktere nach der langen Zeit vertraut und zum Teil ans Herz gewachsen seien, aber auch weil es trotz aller sprachlicher Schwierigkeiten aufgrund seines Facettenreichtums mehr Tiefe besäße und mehr zu bieten hätte, als nur „nette Unterhaltung“.