Klasse 10 im Theater: Der Teufel lacht sich ins Fäustchen…

Von   27. Februar 2019

Das Abitur wirft seine Schatten voraus und so machten sich die Schülerinnen und Schüler der Klasse 10 des Caspar-Mohr-Progymnasiums auf, das berühmteste Werk der deutschen Literatur, Goethes Faust, an seinem Bestimmungsort kennenzulernen: dem Theater.

Die Junge Bühne Ulm inszenierte den Klassiker als schlank-gekürzte 80-Minuten-Version und lud die Schulklassen im Anschluss zum Feedbackgespräch mit der Regisseurin Sina Baajour, dem Theaterdirektor und Alt-Faust Sven Wisser und der Gretchen-Darstellerin Leonie Hassfeld.

Das Stück kam trotz Originaltext frisch und eingängig daher. Statt den umständlichen Zugang über Zueignung und Vorspiel auf dem Theater zu nehmen, geht es im minimalistischen Prolog im Himmel direkt zur Sache, nach kurzer Zeit schon tritt Faust als abgehalfterter Gelehrter in der Midlife-Crisis auf den Plan und setzt an zu seiner weltbekannten Klage: „Habe nun, ach!…“. Bald darauf schon offenbart sich ihm Mephistopheles und gewinnt den Verzweifelten für einen Pakt. Von Engeln, Faust-Schüler Wagner und dem bunten treiben am Osterspaziergang fehlt in der Inszenierung jede Spur – sie werden aber auch nicht vermisst, ebensowenig wie später Nachbarin Marthe, der Bruder Valentin und die vielen Hexen, die das Originalstück kennt. Mit gerade einmal fünf Schauspielern (von denen je einer den jungen und den alten Faust verkörpert) kommt die Inszenierung aus und trotzdem bleiben keine Fragen offen. Gekürztes wird über den gelungenen Einsatz von Videokunst (Marcel Eberhard) kompensiert, die das Dargestellte ergänzt und bereichert zum Beispiel beim Erscheinen des Erdgeistes, den Faust in seinem Studierzimmer beschwört.

Nachdem Mephistos versuch, Faust für das Partyleben zu begeistern, schnell scheitert, greift er zu drastischeren Mitteln. Statt der Jugendkur aus der Hexenküche greift der Teufel sehr plakativ zur Kettensäge und verjüngt Faust mit chirurgischen Mitteln. Der erscheint in dieser Aufführung nicht einfach im anderen Gewand, sondern gleich als neuer Schauspieler, dem der blaue Anzug des gealterten Gelehrten nun endlich wieder gut sitzt. Schon kurz danach läuft diesem Gretchen über den Weg und ihn ereilt die berühmte Abfuhr: „Bin weder Fräulein, weder schön, kann ungeleitet nach Hause gehen.“ Doch dieses Gretchen ist nicht die naive Unschuld, als die es sie so häufig auf der Bühne erscheint, stattdessen bereut sie die schnippischen Worte schon bald und sehnt sich eine Begegnung mit Faust herbei. Als es dazu kommt wahrt sie den erwarteten Schein und Anstand, lockt und neckt den begierigen Faust und reizt aus, wie weit sie damit gehen kann. Zwar flüchtet sie sich immer wieder in den Schutz der anerzogenen Moral, doch die Gebete, die sie spricht, sind monoton und ohne echte Inbrunst – kein Wunder also, dass der Teufel leichtes Spiel mit den beiden hat und sie – im wahrsten Wortsinne pausenlos – vor sich hertreibt. Erst im Kerker, als sie dem Wahnsinn verfallen ist, klingt ihre Reue aufrichtig, sie entsagt dem zur Rettung geeilten Liebhaber und findet die erbetene Erlösung, wenn auch nicht im Diesseits.

Das Stück konzentriert sich durch die Wahl der Szenenausschnitte ganz auf die Trias Faust – Gretchen – Mephisto und arbeitet diese Figuren aus Goethes Machwerk heraus. Was die Handlung nicht vorantreibt oder keinen neuen Aspekt der Figuren enthält, wird radikal gestrichen. Darin lag – so die Regisseurin im Nachgespräch – auch mit der schwerste Teil der Arbeit. Entstanden ist eine Charakterstudie, die den Bedürfnissen der Schüler in vieler Hinsicht gerecht wird, schafft sie doch in vergleichsweise kurzer Zeit ein sehr anschauliches Bild von Figuren und Handlung. Ohne den Originaltext im Wortlaut zu verändern wird das Geschehen so für die jungen Leute verständlich und auch in seiner Zeitlosigkeit anschaulich durch gelungene Modernisierung. Entsprechend positiv fiel auch das Fazit der Zehntklässler aus. Auch wenn es bis zur sicheren Kenntnis dieser Pflichtlektüre noch ein weiter Weg ist: eine erste Annäherung an das Werk ist erfolgt und macht Mut und Lust auf mehr.